GEIGER UND ARTIST SPANNTEN ZUSAMMEN

Virtuosenabend des Musikkollegiums Zürcher Oberland

Dass Paganinis Werke halsbrecherische Kunststücke sind, von vielen Geigern deshalb gemieden, ist bekannt. Die Parallelität zwischen Musik und Artistik, zwischen dem haarscharfen am Abgrund Vorbeijonglieren der Töne mit der Geige und der realen Kunst des Jonglierens jedoch kam so deutlich nie zum Ausdruck, wie beim vergangenen Virtuosenabend des Musikkollegiums Zürcher Oberland.

Mit unglaublichem Mut stellte sich der Violinist Alexandre Dubach der Herausforderung, einen ganzen Abend mit den technisch anspruchsvollsten Werken zu bestreiten, die je für Geige geschrieben wurden. Alexandre Dubach gewann bereits als Neunjähriger den ersten Preis an der Expo in Lausanne. Seine CD-Einspielungen der sechs Paganini-Violinkonzerte fand weltweite Beachtung. Dementsprechend stand Paganini auch im Zentrum des Abends. Mit erstaunlicher Leichtigkeit fiedelte er sich durch eine ganze Reihe der 24 Capricco op. l und weitere Werke. Während andere Interpreten den Schwierigkeitsgrad dieser Musik durch gewichtiges, ernstes Spiel verdeutlichten, stand für Dubach die Freude an der Musik im Vordergrund. Natürlich, wie man ihn nicht anders kennt, präsentierte er sich auch im Rahmen der Wetziker Aula als Showmann, als Mann der grossen Gesten, der es versteht, das Publikum zu packen. Doch darüber hinaus bot seine Interpretation weit mehr als bloss Bluff.

Patzer wettgemacht

Dass man bei Paganini nicht jeden Doppelgriff perfekt hinkriegt, ausser bei einer Studioaufnahme, ist hinlänglich bekannt. Manchmal buhlt man sich als Hörer im Livekonzert daher leicht betupft, wenn der Solist danebengreift. Anders jedoch bei Dubach – mit einer Wolke von Musikalität machte er die wenigen Patzer wieder wett und liess die melodischen Linien sprechen. Nicht als schwierige, zu bestehende Prüfung erklang daher die Musik sondern als artistisches Spielzeug, als musikalisches Zauberstückchen. Ebenso leichtfüssig, jedoch ohne den ernsten Charakter des Werks zu verkennen, interpretierte er die Sonate Nr. 3 von E. Ysaye. Eine wahrhaft halsbrecherische Leistung vollbrachte Dubach mit dem «Erlkönig» von H. W. Ernst nach dem Lied von F. Schubert. In dieser Bearbeitung für Solovioline muss die Geige sowohl die Singstimme als auch die prägenden Triolenbewegungen der Klavierbegleitung gleichzeitig spielen, ohne dass der künstlerische Ausdruck darunter leidet. Dubach schaffte dies mit beachtlicher Souveränität.

Eigene Komposition gespielt

Die Uraufführung seiner eigenen Komposition «Erinnerung, an Zirkus Renz» widerspiegelt wohl am besten Dubachs musikalische Einstellung gegenüber den technischen Schwierigkeiten der Musik. Gekleidet in einen hochromantischen Virtuosenstil variiert Dubach in diesem Stück den Zirkusmarsch von Gustav Peter, den vermutlich jeder kennt, aber nur selten jemand bewusst wahrnimmt. Arpeggi, Doppelgriffpizzicati und Wurfbogenpassagen bilden hier wie bei Paganinis Werken das Gerüst und umkreisen immer wieder die fröhliche Schausteller-Melodie. Als Gegenpart des musikalischen Artisten wirbelte der Jongleur Criselly mit virtuoser Sicherheit Bälle, Fächer und Ringe durch die Luft. Criselly, der bereits beim SF DRS das Publikum begeistert hatte, bot auch in Wetzikon eine hervorragende Leistung. Es blieb nicht bloss beim Gegenstände in die Luft Schleudern. In einer perfekten Tanzshow, in welcher Musik und Bewegungen als Einheit verschmolzen, schien die Schwerkraft aufgelöst zu sein. Mit seinem Charme und ehe; Portion Humor gewann Criselly, abgesehen von seinem ausserordentlichen Können, das Publikum. So erntete er mit seinem Handschattenspiel des jaulenden Hundes oder seinem rührenden Bemühen, mit einem Fächer ein Windrädchen anzutreiben, die Lacher der Zuschauer.

Gemeinsamer Auftritt

Höhepunkt der Abends jedoch war zweifelsohne die Zugabe, in welcher beide Artisten, der Zirkusartist und der Geiger, gemeinsam auftraten. Criselly jonglierte dabei während einer schier unendlich erscheinenden Zeitspanne unzählbare Ringe in der Luft, während Dubach mit Musik aus seinen «Erinnerungen…» begleitete. Zweifellos ist die Kombination von Artistik und virtuoser Musik äusserst gelungen. Das Steife und die befrackte Ernsthaftigkeit eines Konzertabends fallen in einem solchen Programm vollkommen weg. Zurück bleiben einzig das Staunen, der wohlige Schauer, der einem bei besonders schwierigen Passagen oder Kunststücken über den Rücken läuft und der Genuss, einen äusserst amüsanten Abend erlebt zu haben. Schade, dass nicht mehr Konzertveranstalter sich ein Beispiel am unkonventionellen Mut des Musikkollegiums nehmen.

23. November 1998, Zürcher Oberländer, Elisabeth Rizzi